Darf wissenschaftliches Design in DH-Projekten emotional ansprechen?

poster / demo / art installation
Authorship
  1. 1. Michael Lambertz

    Trier Center for Digital Humanities (Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften) - Universität Trier

Work text
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Wie müssen virtuelle, integrative und interaktive Forschungs-, Kommunikations- und
Präsentationsumgebungen aussehen, damit sie der Umsetzung des fächerübergreifenden
Forschungsparadigmas nützen, die Schaffung und Darstellung von Wissen ermöglichen
und eine aktive Beteiligung der Öffentlichkeit an diesen Prozessen erlauben, lautet
eine der zentralen Fragen nicht nur der DHd 2016, sondern generell der Digital
Humanities (DH). Zu selten wird dabei bedacht, dass Visualisierung mehr ist als nur
die reine grafische Darstellung und Gestaltung geisteswissenschaftlicher Inhalte.
Die Rolle, die das Design eines User Interface (UI) spielt, ist in den DH noch zu
wenig im Forschungsfokus. Die Entscheidung, welches Design und welche UI-Komponenten
letztlich gewählt und umgesetzt werden, ist leider selten so wissenschaftlich
fundiert wie der Inhalt, sondern stattdessen oft das Ergebnis eines Kompromisses der
beteiligten Personen und deren persönlichem Geschmack, deren Vorlieben und
Gewohnheiten. Daraus resultierende Mängel und Probleme reichen von Unsicherheit und
Bedienungsproblemen bis zu Abneigung gegenüber dem Design und damit dem Projekt, und
zeigen sich wenn überhaupt erst später bei der Nutzung der Benutzeroberfläche. Ein
Grund für diese mangelnde wissenschaftliche Fokussierung liegt sicherlich häufig in
der finanziellen Unterausstattung dieses Bereichs in DH-Projekten, stehen doch den
digitalen Geisteswissenschaften nicht die Gelder1 für Design, geschweige denn für die
Erforschung der „visuellen Kommunikation“ zur Verfügung, wie sie etwa im
(Neuro-)Marketing für Usability-Tests, Eye-Tracking- oder bildgebende Verfahren
vorhanden sind. Und doch könnte mehr Wissen über Design- und Usability-Fragen auch
hier gebraucht werden.2

Mehr noch als die funktionellen Gesichtspunkte von (UI-)Design sind es die
emotionalen Aspekte von Design, die bislang nicht nur in der DH-Forschung noch
unterrepräsentiert sind. Es gibt noch immer wenig Wissen darüber, wie im Gehirn
Gefühle vernetzt sind und wirken, und über das Zusammenspiel von Emotionen und
Gedanken können Jahrtausende alte Philosophien und Weisheiten oft mehr sagen als die
Forschung auf dem Gebiet der Neurobiologie3. Dennoch ist ziemlich offensichtlich, dass es ein Zusammenspiel
gibt4, und dass
diesbezüglich das Verhältnis von Emotionen und wissenschaftlichem Design einer
näheren Betrachtung unterzogen werden muss. Grafikdesign wirkt immer auch unterhalb
der Oberfläche von Sachlichkeit, Rationalität und Kontrolle. Designelemente wie
Bilder (z. B. weinendes Kind, Bergpanorama), Typographie (z. B. Romantik,
Bauhausstil) und Farben (z. B. schwarz/rot/weiß der NS-Zeit) können je nach
„Zielgruppe“ (Targeting) mehr oder weniger starke Emotionen wie z. B. Mitleid,
Glück, Sicherheit, Freude, Freiheit, Stolz, Unmut, Scham, ja sogar Wut hervorrufen.
Dies scheint konträr zum Rationalitäts- und Objektivitätsanspruch der Wissenschaft zu sein. Vermeintlich wissenschaftlich neutral gestaltete Designs nutzen Schriftarten und Farben, die in anderen Zielgruppen eventuell sogar Irritationen hervorrufen können. Je nach Mode und Zeit variieren diese Designelemente zwar, aber im Allgemeinen strahlt das typisch sachliche, wissenschaftliche Design eine gewisse Kühle und Geschmeidigkeit aus. Eine emotionale Wirkung ist also auch hier vorhanden.
Zentrale Fragen, die sich gerade die DH mit ihren noch nicht ausgeschöpften gestalterischen Möglichkeiten stellen müssen, sind daher:
Inwieweit darf wissenschaftliches Design ästhetisch sein und gezielt emotional ansprechen? Wie korreliert es mit der vermeintlichen wissenschaftlichen Objektivität? Kann und wenn ja wie kann emotionale Wirkung beobachtet werden? Kann / darf sie gelenkt werden? Welche Kriterien sind wesentlich für Designentscheidungen in den DH? Auf einer Metaebene sollte dabei auch exploriert und reflektiert werden, wie bewusst sich DH-Projekte für oder gegen ein Design- und UI-Konzept entscheiden.

Diesen Fragen möchte sich die Posterpräsentation auch auf der Ebene des Visuellen und des Designs stellen und anhand des Heinrich Heine-Portals exemplifizieren. Für die am Trier Center for Digital Humanities aufgebaute und zwischenzeitlich „in die Jahre gekommene“ digitale Edition werden ein neues Designkonzept und Visualisierungskomponenten entworfen und realisiert, anhand deren Aspekte der emotionalen Ansprache von Präsentationen sowie Fragen, die sich daraus für den ästhetischen Anteil wissenschaftlicher Darstellungsformen diskutiert werden sollen.

Neben finanziellen und projektlaufzeitgebundenen Gründen führen die
zusätzlichen Schwierigkeiten, die sich aus der parallelen Entwicklung von
(UI-)Design zu der fachwissenschaftlichen Entwicklung der Inhalte und der
Modellierung von Daten bzw. deren Architektur ergeben, auch oft zu pragmatischen
und wenig adäquaten Lösungen.
Dennoch lassen sich
Forschungsergebnisse hinsichtlich der Kaufentscheidungen von Zielgruppen in der
Marktforschung und im Neuromarketing nicht eins zu eins auf die
Wissensdarstellung übertragen, da die Ziele hier größtenteils andere sind.

Erst seit den 1990er Jahren gibt es bildgebende Verfahren in den
Neurowissenschaften, die nachweisen konnten, dass Gefühle im Gehirn repräsentiert werden.
Trotz einiger Fortschritte in der Forschung ist bezüglich Komplexität und Dynamik von
Gefühlen wenig bekannt (vgl. die Kritik von Kagan 2007).
Das ist vermutlich der Grund, warum
große Unternehmen so viel Geld in Neuromarketing investieren.

Bibliographie

Frevert, Ute (2009): "Was haben Gefühle in der
Geschichte zu suchen?", in: Geschichte und
Gesellschaft 35: 183-208.

Kagan, Jerome (2007): What is
Emotion? History, Measures, and Meanings. Binghamton: Yale
University Press.

McCandless, David (2009): Information is Beautiful. London: Collins.

Meirelles, Isabel (2013): Design for
Information. An introduction to the histories, theories, and best
practices behind effective information visualizations. Beverly
Massachusetts: Rockport.

Pferdt, Frederik G. (2012): Designbasierte Didaktik (DbD). Lernumgebungen mit social media
innovativ gestalten. Paderborn: Eusl-Verlag.

Ruecker, Stan / Radzikowska, Milena / Sinclair, Stéfan
(2011): Visual interface design for digital cultural
heritage. A guide to rich-prospect browsing. Farnham: Ashgate.

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Conference Info

In review

DHd - 2016
"Modellierung - Vernetzung – Visualisierung: Die Digital Humanities als fächerübergreifendes Forschungsparadigma"

Hosted at Universität Leipzig (Leipzig University)

Leipzig, Germany

March 7, 2016 - March 11, 2016

160 works by 433 authors indexed

Conference website: http://dhd2016.de/

Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (3)

Organizers: DHd