Wie verhalten sich Aktionäre bei Unternehmenszusam-menschlüssen? Modellierung sprachlicher Muster zur Analyse treibender Faktoren bei der Berichterstattung

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Authorship
  1. 1. Sophia Stotz

    Universität Paderborn

  2. 2. Michaela Geierhos

    Universität Paderborn

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Welche Informationen über Unternehmenszusammenschlüsse werden in Zeitungsnachrichten vermittelt, und wie können diese Informationen automatisch extrahiert werden? Dies soll am Beispiel des Verhaltens von Aktionären während eines Zusammenschlusses ermittelt werden. Dazu werden die wichtigsten Aussagen über das Votum der Aktionäre im Hinblick auf eine automatische Erkennung sprachlich analysiert. Im Fokus stehen dabei die Berichte über Aktionärsabstimmungen hinsichtlich der Annahme bzw. Ablehnung eines Übernahmeangebots. Dabei gilt es, die folgenden beiden Herausforderungen zu meistern:

Identifikation der Treiber
Bei der vorliegenden Fragestellung geht es darum, die sprachliche Gestaltung der Rolle der Aktionäre bei Unternehmenszusammenschlüssen in der Presse zu analysieren. Die Aktionärsabstimmung ist eingebettet in den Kontext unterschiedlicher Ereignisse, die Teil eines Zusammenschlussversuchs sind. Da Unternehmenszusammenschlüsse erhebliche Auswirkungen sowohl auf die Beschäftigten, als auch auf andere Unternehmen (insbesondere Konkurrenten), Aktionäre und die Verteilung von Spitzenposten haben, wird in Zeitungen ausführlich darüber berichtet. Medien haben zwar keinen direkten Einfluss auf wirtschaftliche Prozesse, sie können jedoch die Meinung von primären Adressaten, wie z. B. Aktionären, beeinflussen und nehmen daher dennoch eine wichtige Rolle ein (vgl. Palmieri 2014: 71f.). In erster Linie veröffentlichen sie Mitteilungen von Unternehmen und andere relevante Dokumente und tragen so zur Verbreitung von Schlüsselinformationen bei. Im Vergleich zu Eigenwerbung oder selbst verfassten Mitteilungen wirken Berichte von Journalisten unabhängiger und damit glaubwürdiger. Der „Vertrauenswürdigkeitsvorsprung journalistischer Berichterstattung“ (Hoffjann 2014: 674) führt dazu, dass diese besonders wichtig für die Reputation eines Unternehmens ist (vgl. Hoffjann 2014: 673 f.).

Modellierung des sprachlichen Variantenreichtums
Verschiedene Akteure beeinflussen den Verlauf eines Zusammenschlussversuchs und
bilden untereinander ein komplexes Beziehungsnetzwerk. So kann beispielsweise im
Fall einer feindlichen Übernahme der Aufsichtsrats des Zielunternehmens seinen
Aktionären empfehlen, keine Aktien zu verkaufen und dadurch die Übernahme
gefährden. Die Haltung der Aktionäre, aber auch die des Kartellamts, kann einen
Zusammenschluss zum Scheitern bringen. Um diese Prozesse zu modellieren, muss
das Korpus im Hinblick auf die Akteure, ihre Entscheidungen und Meinungen
untersucht werden. Zur Extraktion von Ereignissen besteht bereits eine große
Bandbreite an Fachliteratur, die grob in maschinelle, musterbasierte und hybride
Vorgehensweisen eingeteilt werden kann (Hogenboom et al. 2011). Auch zur
automatischen Bestimmung des faktischen Status von Ereignissen sowie zur
automatischen Analyse von Wirtschaftsnachrichten hat es bereits einige Ansätze
gegeben (z. B. Saurí / Pustejovsky 2012; Nassirtoussi 2014). Im vorliegenden
Beitrag soll am Beispiel von Aktionärsabstimmungen gezeigt werden, wie
semi-automatisch ermittelte morpho-syntaktische Muster den Kontext des
Zusammenschlusses semantisch mittels lokaler Grammatiken (Gross 1997)
modellieren können. Die mithilfe der Muster gewonnenen Informationen können z.
B. für eine semantische Suchmaschine genutzt werden, um Fragen der Art „Wie oft
waren Aktionäre für das Scheitern einer Fusion in den letzten 2 Jahren
verantwortlich?“ oder „Wer trug zum Scheitern der Übernahme von Tele Columbus
durch Kabel Deutschland bei?“ beantworten zu können.

Datenbasis
Um die von deutschsprachigen Wirtschaftsnachrichten erwähnten Einflüsse der
Aktionäre auf einen Zusammenschluss (und umgekehrt) zu erfassen, wurden
mithilfe des COSMAS-Tools (vgl. Institut für Deutsche Sprache) 6784 Sätze
zusammengestellt, die jeweils die Schlüsselwörter („Übernahme“ ODER
„Fusion“) sowie „Aktionäre“ enthalten. Die über das COSMAS-Tool verfügbaren
Korpora bestehen hauptsächlich aus den Archiven regionaler und
überregionaler deutschsprachiger Zeitungen. Mit der Keyword-Auswahl sollen
die wichtigsten Ereignisse identifiziert werden, die während eines
Zusammenschlusses im Zusammenhang mit den Aktionären stehen. Folgende
Tabelle zeigt einen Auszug aus den manuell erstellten relevanten Themen
sowie die dazugehörigen sprachlichen Muster:

Tab. 1: Konfidenzmaß ausgewählter Keywords bzgl. bestimmter Phasen

Korpusverarbeitungssystem und Modellierungswerkzeug
Da Medienberichte in Wirtschaftsnachrichten wiederkehrende Sprachmuster
für die Ankündigung gescheiterter und erfolgter Zusammenschlüsse benutzen,
ist der Ansatz der lokalen Grammatiken für diese Aufgabe vielversprechend
(Gross 1997). Lokale Grammatiken erlauben es, morpho-syntaktische sowie
semantische Eigenschaften der Sprache zu berücksichtigen. Zur
Implementierung verwende ich das Korpusverarbeitungssystem Unitex, das an der Université Marne-la-Vallée entwickelt wurde.
Am Centrum für Informations- und Sprachverarbeitung wurde in München ein sehr
umfangreiches deutschsprachiges Lexikon aufgebaut, das zahlreiche
syntaktische und semantische Informationen mit einschließt und sich dadurch
erheblich von vergleichbaren Systemen absetzt (Guenthner / Maier 1994).
Neben der Verfügbarkeit dieses Lexikons bietet Unitex den Vorteil, dass der
Benutzer selbst Regeln zur Erkennung von Named Entities schreiben und dabei
eine Vielzahl an morphologischen und syntaktischen sowie semantischen
Einschränkungen einbauen kann. Für die vorliegende Studie wurde z. B. ein
Lexikon mit Organisationsnamen mit über 335000 Einträgen eingesetzt
(Mallchok 2004).

Lokale Grammatiken zur Differenzierung bestimmter Phasen
Für die Auswahl geeigneter und besonders charakteristischer
Schlüsselpassagen werden zunächst die einschlägigen verbalen Wendungen
(z. B. „zustimmen“, „grünes Licht geben“) im Textkorpus ermittelt. Da
die isolierte Erkennung der Prädikate allein oft nicht ausreicht, um
eine Aussage korrekt zu extrahieren, muss der jeweilige Kontext
berücksichtigt werden. Es geht also darum, die syntaktische
Distributionsklasse des Prädikats (Anzahl und Form der Komplemente) zu
ermitteln (vgl. Nagel 2005: 16). Das Verb „genehmigen“ erfordert im
untersuchten Bereich beispielsweise ein Subjekt, das die Aktionäre
beschreibt, und ein Objekt, den Zusammenschluss. Sie werden anschließend
in Unitex-Graphen eingearbeitet, die auf neuen Korpora den Status eines
Unternehmenszusammenschlusses bestimmen können. Die Graphen können durch
die Einbindung von Lexika und Kontextmodellierung zudem relevante
Entitäten wie z. B. den Unternehmensnamen erkennen. Lokale Grammatiken
eignen sich in besonderem Maße für das in diesem Beitrag behandelte
Thema, da sie die syntaktische Struktur des Satzes berücksichtigen und
somit der Akteur und im Zusammenhang dazu seine Handlungen oder
Meinungen extrahiert werden können. Kleinere Entitäten können einzeln
erkannt und in den Kontext eines größeren Graphs eingebettet werden.
Folgender (etwas vereinfachter) Graph erkennt z. B. das
Abstimmungsergebnis:

Abb. 1: Graph zur Erkennung des Abstimmungsergebnisses

Die erkannten Textstellen werden mit XML-Tags versehen und im Textformat
abgespeichert, sodass sie leicht visualisiert und weiterverarbeitet
werden können.
Beispiele für mit diesem Graphen erkannte Textstellen sind:

Abb. 2: Auszug aus der Konkordanz der erkannten Textstellen zum Abstimmungsergebnis

Folgende Beispiele zeigen einen Auszug aus der Konkordanz des Graphen zur
Erkennung des Abstimmungsergebnisses von Aktionären:

Abb. 3: Auszug aus der Konkordanz der erkannten Textstellen zur Aktionärsabstimmung

Durch Ersetzen der Prädikate können Synonyme gefunden werden, wie z. B.
„erlauben“, oder aber auch Prädikate wie „vereiteln“ und „verhindern“,
die die Ablehnung des Zusammenschlusses ausdrücken. Hinsichtlich der
Argumentstruktur unterscheiden sich die Prädikate nicht, sie müssen
jedoch aufgrund ihrer Bedeutung verschieden annotiert werden. Ebenso
können durch Ersetzen des Subjekts die Entscheidungen anderer Akteure,
beispielsweise des Kartellamts, erkannt werden.
Oft ist auch nur von dem Plan einer Aktionärsabstimmung die Rede. Dieser
wird häufig in Form von Modalverbkonstruktionen zum Ausdruck
gebracht:

Abb. 4: Auszug aus der Konkordanz der erkannten Textstellen zu einer geplanten Aktionärsabstimmung

Die Extraktion der analysierten Prädikat-Argument-Strukturen mithilfe von
lokalen Grammatiken ermöglicht die Kategorisierung eines Ereignisses, im
vorliegenden Fall der Aktionärsabstimmung, das für die Einschätzung des
Status eines Zusammenschlusses von zentraler Bedeutung ist.

Evaluation
Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse einer Evaluation bezüglich der erfolgten
Zustimmung der Aktionäre zu einem Zusammenschluss. Sie wurde auf einem
mithilfe der COSMAS-Datenbank erstellten Testkorpus mit 623 Sätzen
(Keywords: („Fusion“ ODER „Übernahme“) sowie „Aktionäre“) durchgeführt.
Hierbei wurden sowohl die Erkennung der Relation als auch der daran
beteiligten Entitäten wie z. B. Unternehmensnamen, Zeit- und Ortsangaben
berücksichtigt.

Zustimmung der Aktionäre zu einem
Zusammen-schluss
Entitäten

Precision
100/101=99,0%
117/120=97,5%

Recall
66/100=66,0%
120/197=60,9%

F-Score
79,2%
75,0%

Tab. 2: Ergebnisse der Evaluation bezüglich der
erfolgten Zustimmung der Aktionäre zu einem Zusammenschluss

Fazit und Ausblick
Im vorliegenden Beitrag wird gezeigt, wie wiederkehrende sprachliche Muster dazu
genutzt werden können, die Rolle von Aktionären bei einem
Unternehmenszusammenschluss am Beispiel von Aktionärsabstimmungen zu
modellieren. Mithilfe von lokalen Grammatiken kann der Ausgang der
Abstimmungen automatisch extrahiert werden. Wichtige Entitäten wie Zeit- und
Ortsangaben, Akteure und Organisationsnamen werden ebenfalls erkannt. Die so
strukturierten Informationen können anschließend in eine semantische
Suchmaschine eingebettet werden. Mit dieser Methode und durch Erweiterung
der vorhandenen Muster kann in den nächsten Schritten ein System zur
Erkennung der relevanten Phasen eines Zusammenschlusses sowie das
Zusammenwirken der unterschiedlichen Akteure erstellt werden. Nach der
Fertigstellung des Systems sollen bezüglich neuer Zeitungsnachrichten
Aussagen zum derzeitigen Stand eines Zusammenschlusses getroffen werden
können. In einem nächsten Schritt wäre auch eine Analyse hinsichtlich
sprachlicher Indikatoren interessant, die nicht unmittelbar an ökonomische
Schritte geknüpft ist: Inwiefern kündigen Passagen wie „droht zu scheitern“
tatsächlich das Scheitern des Prozesses an? Darüber hinaus könnte auch die
sprachliche Modellierung von Gerüchten („Der Konsumgüterhersteller Henkel
ist Kreisen zufolge Favorit im Rennen um den Haarpflegespezialisten Wella“,
vgl. Focus 25.05.2015) mit lokalen Grammatiken implementiert werden, um die
Grenze zwischen klaren Fakten und unsicheren Aussagen in Zeitungsnachrichten
zu markieren. Die Methode ist in thematischer Hinsicht nicht auf ein
bestimmtes Textkorpus beschränkt, die Graphen müssen jedoch bei Wechsel der
Textdomäne angepasst werden.

Bibliographie

Focus (25.05.2015): "Henkel Favorit für
Wella-Übernahme - Wert: 5,5 bis 7,0 Milliarden Dollar" http://www.focus.de/finanzen/news/wirtschaftsticker/kreise-henkel-favorit-fuer-wella-uebernahme-wert-5-5-bis-7-0-milliarden-dollar_id_4705463.html
[letzter Zugriff 05. Oktober 2015].

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Hogenboom, Frederik / Frasincar, Flavius / Kaymak, Uzay / de
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in conjunction with the 10th International Semantic Web Conference 2011
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Institut für Deutsche Sprache (IDS) (o.J.): Cosmas II. Corpus Search, Management and Analysis
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Mallchok, Friederike (2004): Automatic Recognition of Organization Names in English Business
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Grammatiken zur Beschreibung von lokativen Sätzen und ihre Anwendung im
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Nassirtoussi, Arman Khadjeh / Aghabozorgi, Saeed / Wah, Teh
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prediction: A systematic review", in: Expert Systems with
Applications 41,16: 7653–7670.

Palmieri, Rudi (2014): Corporate
argumentation in takeover bids. Amsterdam / Philadelphia: John
Benjamins.

Saurì, Roser / Pustejovsky, James (2012). "Are You Sure
That This Happened? Assessing the Factuality Degree of Events in Text", in:
Computational Linguistics 35, 1: 1–39.

Université Paris-Est Marne-la-Vallée (o.J.): Unitex
http://igm.univ-mlv.fr/~unitex/UnitexManual3.1.pdf [letzter
Zugriff 05. Oktober 2015].

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"Modellierung - Vernetzung – Visualisierung: Die Digital Humanities als fächerübergreifendes Forschungsparadigma"

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