„Jesus ist keine App“ - Fachsprachliche Konzeptualisierungen des ›Computers‹ und Ansätze computergestützter Fachsprachenlinguistik am Beispiel der Domänen Medizin und Theologie

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  1. 1. Friedemann Vogel

    Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (University of Freiburg)

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Sowohl die Medienkulturwissenschaft als auch die Sprach- und Diskurslinguistik hat
sich in der Vergangenheit wiederholt verschiedenen Facetten des Computer- oder
Technikdiskurses gewidmet – vgl. etwa Sybille Krämer (1998) zu Computer als Medium,
Wichter (1991) und Busch / Wichter (2000) zur Rolle des Computers im Mediendiskurs,
Schlobinski et al. (1998), Schlobinski (2006) u.v.a. zur Linguistik des Internets,
Vogel (2012) zu Überwachungstechnik oder Müller / Vogel (2014) zu Risikodiskursen.
Gemein haben diese Studien alle, dass sie dem ›Computer‹ oder anderen Aspekten der
Mediatisierung nahezu ausschließlich im Kontext von gemeinsprachlichen Medientexten,
also Mediendiskursen v.a. in Zeitung, Zeitschriften und verschiedenen
Online-Formaten nachgehen. Mein eigener Beitrag stellt erste Ergebnisse eines
Forschungsprojektes vor, dass sich demgegenüber dem Konzept des ›Digitalen‹ in
verschiedenen Fachkulturen widmet. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich das
›Digitale‹ nicht allein objektseitig in Gegenständen ‚der Technik‘ fassen lässt,
sondern vielmehr als sich verändernde versprachlichte Denkschemata im Umgang mit
unserer kulturellen Lebenswelt verstanden werden muss. Drei Beispiele sollen dies
kurz illustrieren: (1) Der Computer kann im Strafprozess- und
Polizeirecht zwar auch ein ›PC‹ ( Rechner mit
Textverarbeitung und Tabellenkalkulation) sein, darüber hinaus aber ›illegitime Form
eines neuartigen Fernzugriffs auf die Intimsphäre‹ (klassisches Beispiel aus der
Umgangssprache: Staatstrojaner) oder ›lediglich ‚digitale‘
Variante der legalen ‚analogen‘ Hausdurchsuchung‹ ( Online-Durchsuchung). Die verschiedenen Ausdrücke und Konzepte sind mit
komplexen Wissensrahmen (u.a.) aus dem Verfassungsrecht und also mit divergierenden
Gesellschaftsentwürfen sowie Handlungsnormen verbunden. (2) Das ›Internet‹ wird in
theologischen Predigten nicht nur als ‚Rechner-Netzwerk‘ verstanden, sondern mit
einem theologischen Leitkonzept, nämlich dem der ›Allgegenwärtigkeit‹, verhandelt
(z.B. ›Anmaßung des Menschen, Gott zu spielen‹). (3) Und in der (Korpus-)Linguistik
traut man der Introspektion nicht mehr über den Weg, hofft
aber anthropomorphisierend-paradox auf die Unbestechlichkeit
der Muster-berechnenden Maschine.
Dem Untersuchungsprojekt zugrunde liegt ein umfassendes, diachrones, annotiertes Korpus aus Fachtexten (derzeit etwa 250.000 Fachaufsätze bzw. 0,53 Milliarden Wortformen) und aus einem Erscheinungszeitraum von 1950 bis 2015, das mit korpus- und computergestützten Methoden diskursanalytisch ausgewertet wird. Im Fokus stehen die vier Domänen Linguistik, Medizin, Theologie und Recht.
Der Vortrag konzentriert sich auf die Konzeptualisierung des ›Computers‹ in Medizin (auch sprachvergleichend) und Theologie. Im ersten Schritt werden zunächst Datengrundlage und eingesetzte Untersuchungsmethoden illustriert und dabei Ansätze korpuslinguistischer Methoden zur Auswertung fachsprachlicher Massendaten diskutiert. Dabei geht es insb. um die Frage, wie sich (Sub-)Korpora dahingehend strukturieren lassen, dass sie möglichst nahe das Zielkonzept der Untersuchung repräsentieren, ohne introspektiven Zirkelschlüssen oder fehlerhaften, rein automatischen Semantik-Annotationen zu erliegen. Im zweiten Schritt werden Untersuchungsergebnisse zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden aller vier Fachdomänen und anschließend im vierten Schritt die Konzeptualisierung des ›Computers‹ in Medizin- und Theologie-Diskurs im Detail vorgestellt. Im fünften und abschließenden Schritt wird ein kurzes Resümee gezogen sowie Desiderata zukünftiger computergestützter Fachkommunikationsforschung akzentuiert.
Das hier vorgestellte Thema versteht sich als Beitrag zur gegenstandsbezogenen Forschung sowie zur Entwicklung und Erprobung computergestützter Methoden in den Digital Humanities.

Bibliographie

Busch, Albert / Wichter, Sigurd (eds.) (2000): Computerdiskurs und Wortschatz. Corpusanalysen und
Auswahlbibliographie (= Germanistische Arbeiten zu Sprache und
Kulturgeschichte, 40). Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris: Lang.

Krämer, Sybille (ed.) (1998): Medien,
Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien (=
Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1379). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Müller, Marcus / Vogel, Friedemann (2014):
„Risikotechnologien in europäischen Mediendiskursen: Der korpuslinguistische
Zugriff am Beispiel ‚Biotechnologie‘“, in: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis:
Risikodiskurse/Diskursrisiken – Sprachliche Formierungen von
Technologierisiken und ihre Folgen (= Sonderheft): 40-48.

Runkehl, Jens / Schlobinski, Peter / Siever, Torsten
(1998): Sprache und Kommunikation im Internet. Überblick
und Analysen. Opladen: Westdt. Verl.

Schlobinski, Peter (ed.) (2006): Von
*hdl* bis *cul8r*. Sprache und Kommunikation in den neuen Medien (=
Thema Deutsch 7). Mannheim: Dudenverl.

Vogel, Friedemann (2012): Linguistik
rechtlicher Normgenese. Theorie der Rechtsnormdiskursivität am Beispiel
der Online-Durchsuchung (= Sprache und Wissen 9). Berlin, Boston,
Peking, Basel, München: De Gruyter.

Wichter, Sigurd (1991): Zur
Computerwortschatz-Ausbreitung in die Gemeinsprache. Elemente der
vertikalen Sprachgeschichte einer Sache (= Germanistische Arbeiten
zu Sprache und Kulturgeschichte 17). Frankfurt am Main, Bern, New York,
Paris: Lang.

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"Modellierung - Vernetzung – Visualisierung: Die Digital Humanities als fächerübergreifendes Forschungsparadigma"

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