"Kinder des Buchdrucks" im Digitalen Zeitalter. Ein romanistisches Digital Humanities Modul

poster / demo / art installation
Authorship
  1. 1. Elisabeth Burr

    Universität Leipzig (Leipzig University)

  2. 2. Ulrike Fußbahn

    Universität Leipzig (Leipzig University)

Work text
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Einleitung
Schon länger wird die Frage nach der Lehre der Digital Humanities gestellt (cf. u. a. Hirsch (2012), Gold (2012), Warwick / Terras / Nyhan (2012)). Zudem sind Initiativen wie die EU geförderte
#dariahTeach entstanden, die Materialien für die Lehre von Digital Humanities entwickelt und online zur Verfügung stellt. 2017 haben dann Fotis Jannidis, Hubertus Kohle und Malte Rehbein ein umfangreiches deutschsprachiges Lehrbuch zu
Digital Humanities vorgelegt. In keiner dieser Publikationen wird aber, soweit wir sehen können, der Frage nachgegangen, wie der Auftrag, den die neue Epistemologie
Digital Humanities als den ihren erkennt, nämlich ein umfassenderes und kritischeres Wissen von Artefakten sowie deren Relationen untereinander mittels der Nutzung von computationellen Methoden zu schaffen, in der Lehre umgesetzt werden kann. Einen Versuch in diese Richtung unternehmen wir in einem romanistischen Master-Modul, wo frühe gedruckte Grammatiken und Sprachtraktate zunächst als „Kinder des Buchdrucks“ eingeordnet und dann mittels Transkription und Auszeichnung für Forschungen im digitalen Zeitalter verfügbar gemacht werden.

Grundlagen des Versuchs
Dem Versuch zugrunde liegt ein Projekt, das es sich zum Ziel setzt, die kulturellen, politischen, gesellschaftlichen, ideologischen, genderbedingten etc. Vorstellungen, Ideen und Ziele, die sich hinter sprachbetrachtenden, sprachbeschreibenden und sprachnormierenden Werken, wie Grammatiken und Sprachtraktate, der frühen Gutenberg-Ära verbergen, vergleichend und in ihren Zusammenhängen über die einzelnen romanischen Kulturen und Sprachen hinweg zu untersuchen. Um diese Werke systematisch erforschbar zu machen, bedarf es allerdings zunächst einmal ihrer Digitalisierung und Erschließung.
Bei den Texten, die bisher berücksichtigt wurden, handelt es sich um:

Francesco Fortunio (1516):
Regole grammaticali della volgar lingua. Ancona: Bernardin Vercellese

Louis Meigret (1550):
Le trętté de la GRAMMĘRE FRANCOĘZE. Paris: Chrestien Wechel

Speron Sperone (1542): “Dialogo delle lingue”, in: Speron Sperone:
I dialogi di Messer Speron Sperone. Vinegia: Aldus 106-131

Joachim Du Bellay (1549):
Deffence, et illustration de la langue francoyse. Paris: Arnoul l’Angelier.

Als „Kinder des frühen Buchdrucks“ weisen diese Texte nicht nur eine Vielzahl von heute nicht mehr gebrauchten Lettern, von Abkürzungen und Variationen auf, sondern sie sind zugleich auch Ausdruck der durch den Buchdruck maßgeblich geförderten Hinwendung zur eigenen romanischen Volkssprache, zur eigenen Nation, zur Abgrenzung gegenüber anderen bzw. zum Vergleich oder gar zur Konkurrenz mit anderen. Zudem wird hier ein Modell der jeweiligen romanischen Sprache entwickelt und eine (soziale) sprachliche Norm fixiert, an der gerade auch die Drucker (nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen) ein großes Interesse haben (cf. z. B. Tory (1529)). Darüber hinaus legen sie auch Zeugnis ab von der Entstehung eines Marktes, eines Lesepublikums und der Entwicklung von Layout- und Strukturierungsverfahren, die das Lesen und Verstehen von Texten fördern.

Umsetzung des Versuchs
Der Versuch wird in einem grundständigen und aus zwei Seminaren bestehenden Master-Modul zur französischen und italienischen Sprachwissenschaft unternommen. In diesem Modul sollen sich die Studierenden mit der Geschichte der Sprachbetrachtung und Normbildung bzw. Normierung und den dabei eingesetzten Werkzeugen auseinandersetzen. 2015 habe ich diesem Modul das oben genannte Projekt unterlegt und so konzipiert, dass die Studierenden selbst dazu einen Beitrag leisten können. Die beiden Seminare werden seither dazu genutzt, den Studierenden zu ermöglichen, alle für das Projekt benötigten Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben und dabei auch ein Verständnis für die
Digital Humanities, ihre Ziele und Methoden zu entwickeln.

Umfassendes und kritisches Wissen von diesen „Kindern des Buchdrucks“ und ihrer Bedeutung für die romanischen Sprachen sowie ein Verständnis für die Implikationen von Medienrevolutionen allgemein und der Gutenberg-Ära sowie der digitalen Revolution im Besonderen erwerben die Studierenden in den beiden Seminaren durch das gemeinsame Aufarbeiten von Medientheorien (cf. Kloock / Spahr (1997)), Darstellungen zum Buchdruck und seinen Folgen (cf. Eisenstein (1997), Giesecke (
42006)) und Abhandlungen zur Grammatikographie der romanischen Sprachen und zu romanische Sprachen fokusierenden Sprachtraktaten (cf. u. a. Bierbach / Pellat (2003), Lüdtke (2001), Lubello (2003), Poggi Salani (1988), Swiggers (1990)). Die dabei zum Einsatz kommenden Technologien (Etherpad, Wiki, Datenbanken, Stylesheets bzw. Formatvorlagen) fordern sie zudem zu einem Umdenken bezüglich der Wissensproduktion im digitalen Zeitalter heraus (cf. z. B. Schöch (2017)), lange bevor sie sich – gestützt durch ein Tutorium - der Modellierung der zu digitalisierenden Texte, ihrer Transkription und Auszeichnung zuwenden. Bei letzterer spielen dann die Dokumentation des
Deutschen Textarchiv (cf. DTA 2016), die Guidelines der
Text Encoding Initiative (cf. TEI 2015), der
Unicode Standard (cf. Uni 1991–2017) und die
Medieval Unicode Font Initiative (cf. Haugen 2011) sowie der Oxygen XML-Editor eine zentrale Rolle.

Poster
Das komplexe Zusammenspiel von verschiedenen Wissensdomänen und einer Vielzahl von Technologien sowie die intendierten konzeptuellen Änderungen wollen wir in unserem Poster visualisieren. Dabei wollen wir nicht nur eine kritische Reflektion über dieses Vorgehen einbringen, sondern auch Ergebnisse, die sich in den Modulabschlussarbeiten der Studierenden zeigen, werten.

Bibliographie

Albrecht, Jörn (2001): „Sprachbewertung / Évaluation de la langue“, in: Holtus, Günter / Metzeltin, Michael / Schmitt, Christian (eds.):
Lexikon der romanistischen Linguistik (LRL). Band I / 2:
Methodologie (Sprache in der Gesellschaft / Sprache und Klassifikation / Datensammlung und -verarbeitung) / Méthodologie (Langue et société / Langue et classification / Collection et traitement des données). Tübingen: Niemeyer 526-540.

Bierbach, Mechtild / Pellat, Jean-Christophe (2003): "Histoire de la réflexion sur les langues romanes: le français / Geschichte der Reflexion über die romanischen Sprachen: FranzöRomanische Sprachgeschichte / Histoire linguistique de la Romania. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen / Manuel international d'histoire linguistique de la Romania 1 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 23). Berlin / New York: De Gruyter 226-229.

Du Bellay, Joachim (1549):
Deffence, et illustration de la langue francoyse. Paris: Arnoul l’Angelier (Digitalisat: PDF, BnF Gallica).

DTA (12.01.2016): „Dokumentation“, in:
Deutsches Textarchiv [25.09.2017].

Eisenstein, Elisabeth I. (1997):
Die Druckerpresse. Kulturrevolution im frühen modernen Europa. Wien / New York: Springer.

Fortunio, Francesco (1516):
Regole grammaticali della volgar lingua. Ancona: Bernardin Vercellese / Bernardino Guerralda (Digitalisat: TIFF, Universitätsbibliothek Eichstätt-Ingolstadt 03.06.2015).

Giesecke, Michael (
42006):
Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Gold, Matthew K. (ed.) (2012):
Debates in the Digital Humanities. Minneapolis / London: University of Minnesota Press.

Haugen, Odd Einar (ed.) (2011):
Medieval Unicode Font Initative [25.09.2017].

Hirsch, Brett D. (ed.) (2012):
Digital Humanities Pedagogy. Practices, Principles and Politics. Cambridge: Open Book Publishers.

Jannidis, Fotis / Kohle, Hubertus / Rehbein, Malte (eds.):
Digital Humanities. Eine Einführung . Stuttgart: J. B. Metzler.

Kloock, Daniela / Spahr, Angela (1997):
Medientheorien. Eine Einführung (= UTB 1986). München: Wilhelm Fink.

Lubello, Sergio (2003): "Storia della riflessione sulle lingue romanze: italiano e sardo / Geschichte der Reflexion über die romanischen Sprachen: Italienisch und Sardisch", in: Ernst, Gerhard / Gleßgen, Martin-Dietrich / Schmitt, Christian / Schweickard, Wolfgang (eds.):
Romanische Sprachgeschichte / Histoire linguistique de la Romania. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen / Manuel international d'histoire linguistique de la Romania. Berlin: De Gruyter 208-225.

Lüdtke, Jens (2001): "Romanische Philologie von Dante bis Raynouard / La philologie romane de Dante à Raynouard", in: Holtus, Günter / Metzeltin, Michael / Schmitt, Christian (eds.):
Lexikon der romanistischen Linguistik (LRL). Band I / 1: Geschichte des Faches Romanistik. Methodologie (Das Sprachsystem) / Histoire de la philologie romane. Méthodologie (Langue et système). Tübingen: Niemeyer 1-35.

Meigret, Louis (1550):
Le tretté de la GRAMMeRE FRANCOEZE. Paris: Chrestien Wechel (Digitalisat: PDF, Bayrische Staatsbibliothek, Münchner Digitalisierungszentrum Digitale Bibliothek 05.09.2015, JPG 10.11.2017).

Oxygen XML Editor (2002-2017) [25.09.2017].

Poggi Salani, Teresa (1988): "Italienisch: Grammatikographie / Storia delle grammatiche", in: Holtus, Günter / Metzeltin, Michael / Schmitt, Christian (eds.):
Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL) IV: Italienisch, Korsisch, Sardisch / Italiano, Corso, Sardo. Tübingen: Niemeyer 774-786.

Schöch, Christof (2017): „Digitale Wissensproduktion“, in: Jannidis, Fotis / Kohle, Hubertus / Rehbein, Malte (eds.):
Digital Humanities. Eine Einführung . Stuttgart: J. B. Metzler 206-212.

Schreibman, Susan / Ping Huang, Marianne / Benardou, Agiatis/ Tasovac, Toma / Scagliola, Stef / Durco, Matej / Clivaz, Claire (2015-2017):
#dariahTeach. DH Training Materials [24.09.2017].

Sperone, Speron (1542): “Dialogo delle lingue”, in: Speron Sperone:
I dialogi di Messer Speron Sperone. Vinegia: Aldus 106-131 (Digitalisat: TIFF, Universitätsbibliothek Leipzig 27.04.2017).

Swiggers, Pierre (1990): “Französisch: Grammatikographie / Grammaticographie“, in:
Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL), V, 1: Französisch, Okzitanisch, Katalanisch / Le français, L'occitan, Le catalan. Tübingen: Niemeyer 843-869.

TEI (05.10.2015): “Guidelines”, in:
Text Encoding Initiative [25.09.2017].

Tory, Geoffroy (1529):
Champ Fleury. Paris: Geoffroy Tory / Giles Gourmont.

Uni (1991–2017): “The Unicode Standard“, in:
The Unicode Consortium 25.09.2017].

Warwick, Claire / Terras, Melissa / Nyhan, Julianne (eds.) (2012):
Digital Humanities in Practice. London: Facet Publishing.

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In review

DHd - 2018
"Kritik der digitalen vernunft"

Cologne, Germany

Feb. 26, 2018 - March 2, 2018

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Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (5)

Organizers: DHd