Zedlers fehlende Seiten: Digitale Quellenkritik und Analoge Erkenntnisse

poster / demo / art installation
Authorship
  1. 1. Andreas Müller

    Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Das Zedlersche
Universal-Lexicon (17-1754) stellt mit seinen 68 Bänden eine wichtige Quelle für die Erforschung des 18. Jahrhunderts dar. Durch das Portal „Zedler-Lexikon.de“ wurde dieses „bedeutendste Monument des enzyklopädischen Schreibens im Zeitalter der Aufklärung“ (Schneider 2013, S. 9) in einem Kooperationsprojekt zwischen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und der Bayerischen Staatsbibliothek München von 2004 bis 2007 digital erschlossen (siehe: Dorn et al. 2008). Entsprechend wurde dieser Webauftritt zu einer wichtigen digitalen Quelle, was sich in hohen Zugriffszahlen widerspiegelt (Dorn et al. 2008, S. 100). Daher erschien es grundlegend angebracht, diesen digitalen Zugriff auf die analoge Quelle einer gründlichen Kritik zu unterziehen.

Das vorgeschlagene Poster präsentiert die Ergebnisse dieser Quellenkritik. Bei einem Abgleich der Anzahl der digitalen Scanbilder mit der gedruckten Seitenzählung zeigte sich, dass teilweise bis zu 180 Seiten pro Band „fehlten“. Die fehlende Seitenzahl geht nach Überprüfung am Original jedoch auf Fehler im Buchdruck zurück und bildet ein deutliches Muster ab, dass die Tätigkeit der verschiedenen Redakteure (Jakob August Franckenstein 1731-32, Paul Daniel Longolius 1733-35 und Carl Günther Ludovici 1738-54) abbildet.

So zeigen deutliche Variationen in der Seitenzählung (Auslassung und Doppelzählung von Seiten) die anfänglichen Schwierigkeiten im verteilten Druck zwischen Halle, Leipzig und Delitzsch (1731-36) und die deutliche Professionalisierung des Drucks nach der Übernahme der Redaktion durch Carl Günther Ludovici ab 1739.
Dies ist für die Forschung interessant, da die Entstehungsbedingungen trotz bereits beachtlicher Erfolge (Calov 2007, Haug 2007, Löffler 2007, Prodöhl 2005, Quedenbaum 1977) immer noch viele Fragen aufwerfen. Zusätzlich zeigt das Poster Ergebnisse einer Analyse von Metadaten, die mittels eines Python Scripts von Zedler-Lexikon.de abgerufen wurden:
Kamen beispielsweise im ersten Band auf jeden Artikel nur etwa 0,3 Verweise, so stieg diese bis zum letzten Band auf rund 2 Verweise pro Artikel an. Darin zeigt sich ein zunehmender Anspruch an die Nutzerfreundlichkeit des Universal-Lexicon von Seiten der Redakteure. Weiters zeigt eine Untersuchung der Länge der einzelnen Artikel einen deutlichen Wandel vom knappen Konversationslexikon zur umfangreichen Enzyklopädie. Der Begriff »Enzyklopädie« bezeichnet in diesem Kontext enzyklopädische Lexika, eine Bedeutung, die sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch die Vorbildwirkung der Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers herausbildete. Die ältere Bedeutung von »Enzyklopädie« als systematische Wissensordnung trifft auf das UL nicht zu. (Vergleiche hierzu ausführlich Dierse 1977).
Klar erkennbar wird hier jedoch, dass die durchschnittliche Länge der Artikel pro Band von 1732 bis 1754 stetig zunimmt und um 1754 durchschnittlich die 8-fache Länge gegenüber 1732 erreicht.

Hier zeigt sich vor allem in den sehr langen Artikeln der letzten Bände (wie Wien mit 134 Seiten, Wolfische Philosophie mit 174 Seiten oder Zunft mit 54 Seiten) nicht nur der Anspruch, Themen nun in größerem Detailgrad darzustellen, sondern auch ein finanzielles Motiv der Herausgeber. So erschienen von 1747-1750 noch acht Bände zum Buchstaben „W“ und nochmal fünf Bände zum Buchstaben „Z“, wohl um die profitablen Zahlungen der Subskribenten noch möglichst lange zu nutzen.
Die Zusammenführung dieser und weiterer erhobenen Metadaten mit der wechselvollen Geschichte des
Universal-Lexicon, wie sie die bisherige Forschungsliteratur rekonstruieren konnte, ermöglichte es, viele Ergebnisse der historischen Forschung weitgehend zu bestätigen. Gleichzeitig mahnen die Erkenntnisse damit zu einer kritischen Verwendung des
Universal-Lexicons, da dieses in den 23 Jahren seiner Entstehung großen inhaltlichen Wandlungsprozessen unterzogen war und daher Artikel aus dem Band A-Am (1732) anders bewertet werden müssen als Artikel aus dem Band Zm-Zz (1750) oder gar aus den vier Supplementbänden (1751-54).

Der Einsatz digitaler Quellenkritik an Zedler-Lexikon.de führte in diesem Fall nicht nur zu einer positiven Bestätigung der digitalen Repräsentation des Werkes, sondern lieferte auch Erkenntnisse zum analogen Werk, die ohne die vorhergehende Digitalisierung und den Einsatz entsprechender Methoden nicht realisierbar gewesen wäre.

Bibliographie

Calov, Carla (2007): Quellen zu Johann Heinrich Zedler und seinem Lexikon im Stadtarchiv Leipzig. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 16, S. 203–244.

Dierse, Ulrich: Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftstheoretischen Begriffs. Band. 2. Bonn 1977.

Dorn, Nico / Oetjens, Lena / Schneider, Ulrich Johannes (2008): Die sachliche Erschließung von Zedlers "Universal-Lexicon". Einblicke in die Lexicographie des 18. Jahrhunderts. In: Das achtzehnte Jahrhundert 32 (1), S. 96–125.

Haug, Christine (2007): Das "Universal-Lexicon" des Leipziger Verlegers Johann Heinrich Zedler im politischen Konfliktfeld zwischen Sachsen und Preußen. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 16, S. 301–331.

Jürgens, Hanco / Lüsebrink, Hans-Jürgen (2017): Enzyklopädismus und Ökonomie im Aufklärungszeitalter. Zur Einführung. In: Das achtzehnte Jahrhundert 41 (2), S. 197–202.

Löffler, Katrin (2007): Wer schrieb den Zedler? Eine Spurensuche. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 16, S. 265–284.

Lohsträter, Kai / Schock, Flemming (Hg.) (2013): Die gesammelte Welt : Studien zu Zedlers "Universal-Lexicon" ; [Ergebnisse einer internationalen Tagung, die im November 2010 in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel stattgefunden hat]. Wiesbaden: Harrassowitz (Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte).

Prodöhl, Ines (2005): "Aus denen besten Scribenten." Zedlers "Universal Lexicon" im Spannungsfeld zeitgenössischer Lexikonproduktion. In: Das achtzehnte Jahrhundert 29 (1), S. 82–94.

Quedenbaum, Gerd (1977): Der Verleger und Buchhändler Johann Heinrich Zedler 1706-1751. Ein Buchunternehmer in den Zwängen seiner Zeit ; ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert. Hildesheim u.a.: Olms.

Schneider, Ulrich Johannes (2013): Die Erfindung des allgemeinen Wissens : enzyklopädisches Schreiben im Zeitalter der Aufklärung. Berlin: Akademie-Verlag.

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DHd - 2019
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March 25, 2019 - March 29, 2019

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