Intermediation der Forschungsinfrastruktur. Ein Rollenmodell für den Umgang mit einer komplexen Infrastrukturlandschaft

poster / demo / art installation
Authorship
  1. 1. Thorsten Wübbena

    Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) (Leibniz Institute of European History)

  2. 2. Katrin Neumann

    Max Weber Stiftung (MWS)

  3. 3. Fabian Cremer

    Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) (Leibniz Institute of European History)

Work text
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Kontext
Die Infrastrukturlandschaft für digital gestützte Forschung in den Geisteswissenschaften verändert sich seit einigen Jahren auf mehreren Ebenen: a) Breite: Der Anteil der Forschungsvorhaben, die Bedarf an digitalen Infrastrukturkomponenten aufweisen, wächst stetig (BMBF 2019); b) Diversität: Die Zahl der entwickelten Werkzeuge sowie deren Anwendungsgebiete nimmt zu (RfII 2016); c) Professionalisierung: Zusammenschlüsse von Infrastrukturanbietern und der Aufbau von skalierbaren Diensten erlauben zuverlässige und verteilte Nutzung, insbesondere mit den anstehenden Entwicklungen der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (RfII 2018). Mit breiterer Nutzung, vielfältiger Anwendung und verteilten Diensten steigt zum einen die Komplexität bei Konzeption, Organisation und Betrieb einer Forschungsinfrastruktur, zum anderen verschiebt sich die Aufgabe der forschungsorientierten Einrichtungen von der Administration eigener Systeme zum Management verteilter Infrastrukturkompetenten in Verbünden, Kooperationen und Konsortien. Dies drückt auch in der Entwicklung der sogenannten „Marketplaces“ in übergreifenden Infrastrukturen aus (Kalman et al. 2019). Für das Management einer solch komplexen Infrastrukturlandschaft entwirft dieser Beitrag ein Rollenmodell für eine Vermittlungsposition.

Modell
Das Selbstverständnis der Digital Humanities basiert auf Zusammenarbeit, bei der Spezialisierung und Kooperationsfähigkeit gleichermaßen gefordert sind (The Digital Humanities Manifesto 2.0). Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit resultiert aus der Komplexität der Vorhaben, die fachwissenschaftliche, informationswissenschaftliche und -technologische Ansätze verbinden, die Einzelpersonen nicht vereinen können. Als ein Modell für die Operationalisierung der Computing Humanities schlägt Jennifer Edmond den Digital Humanities Intermediary vor, der u.a. die Zusammenarbeit moderiert (Edmond 2005; Edmond 2016). Solch eine vermittelnde Figur für den Umgang mit Komplexität wird bereits im Informationswesen als Lösungsansatz gesehen und ist Teil vieler Wertschöpfungsketten, auch in der Wirtschaft (Rose 1999; Womack 2002).
Jenseits der Teammoderation und der Informationsversorgung bietet sich auch der Bereich der Forschungsinfrastruktur für eine Vermittlungsfigur an, die zwischen den Akteuren der Forschungseinrichtungen und der Infrastrukturanbieter operiert. Dabei ist, anders als in Konstellation aus Geisteswissenschaftler*in und Informatiker*in, keine direkte Moderation notwendig, sondern ein Makeln der Serviceangebote der Infrastruktureinrichtungen mit den Anforderungen der Forschenden. Die „Infrastrukturintermediation“ komprimiert nicht nur Informationen oder übersetzt sie, sondern übernimmt die Verantwortung für Konzeption und Betrieb der Forschungsinfrastruktur.

Intention
Die Sichtung, Bewertung und Auswahl der zur Verfügung stehenden Angebote, die Prüfung der Zugangs- und Nutzungsbedingungen, die Implementierung und Organisation innerhalb des Forschungsvorhabens sowie die Abwicklung, Betreuung oder Überführung nach Projektende erfordern zeitliche Ressourcen und spezialisierte Kompetenzen. Die Verlagerung des Aufgabenbereiches auf ein/e Expert*in reduziert den Administrationsaufwand bei den Forschenden und Projektverantwortlichen. Die Definition der sich weiter ausdifferenzierenden Rollen in Forschungsvorhaben bilden die Grundlage für funktionierende kooperative Arbeitsformen (Beispiel Kunstgeschichte: Langmead et al. 2018). Gerade für die Digital Humanists, die bisher sowohl in der Praxis (Reed 2014) wie in der Konzeption (Tabak 2017) als Vermittlungsfiguren fungieren, vergrößert sich so der Spielraum für die digitalen Methoden und Forschungsansätze. Die Kenntnis und Vermittlung vieler verschiedener Infrastrukturangebote erlaubt Forschungseinrichtungen ihrerseits auf ein größeres Portfolio an Angeboten zurückgreifen zu können und Forschungsvorhaben individualisierter unterstützen zu können ohne eigene Infrastruktur entwickeln oder anpassen zu müssen. Die Dienstanbieter und großen Infrastrukturverbünde erreichen durch die zusätzliche Vermittlungsstelle einen größeren und breiteren Nutzer*innenkreis. Die Intermediation kann gleichzeitig die Diversität in der Infrastrukturlandschaft unterstützen, die Komplexität der Nutzung reduzieren oder sogar Fehler ausgleichen (Beispiel e-Governance: Chaudhuri 2019). Idealerweise kann ein „Infrastrukturintermediär“ so auch einen Interessensausgleich zwischen Forschung (Spezialisierung), Infrastruktur (Generalisierung) und Organisation (Skalierung) herbeiführen. Grundsätzlich werden auf diesem Weg Infrastrukturkomponenten nutzbar, die experimentell und leichtgewichtig sind und der Forschung die notwendigen Spielräume eröffnen (van Zundert 2012).

Verortung
Der Beitrag skizziert die Konzepte einer Infrastrukturmediation zweier außeruniversitärer Forschungseinrichtungen. Die Max Weber Stiftung hat mit der Digitalen Redaktion der Publikationsplattform
perspectivia.net eine zentrale Einheit eingerichtet, deren Angebotsportfolio fast vollständig auf der Vermittlung institutionsfremder und international verteilter Dienste basiert (Cremer/Neumann 2019). Das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte hat mit der Einrichtung eines Digital Humanities Lab sowohl institutionelle Ressourcen als auch mit der Kooperation im lokalen Netzwerk
mainzed regionale Strukturen aufgebaut, die auch das Infrastrukturangebot der Einrichtung verändern und erweitern. Das Konzept der Infrastrukturintermediation ist jedoch auch auf Universitäten sowie diverse Institutionen übertragbar und als Rollenmodell nicht an Personen gebunden. Die entscheidende Voraussetzung ist jedoch eine neutrale Verortung ohne Eigeninteresse und mit einer Äquidistanz zu den Akteur*innen in Forschung und Infrastruktur.

Diskussion
Neben der Auseinandersetzung mit dem Modell der Intermediation soll die Diskussion im Rahmen der Posterpräsentation die Operationalisierung dieses Konzeptes vorantreiben. Dabei bietet die DHd-Tagung die einmalige Gelegenheit, alle im Modell benannten Akteur*innen zu Wort kommen zu lasen. Inwieweit ergeben sich so neue Spielräume für die Forschenden, wie profitieren Einrichtungen von einer zunehmenden Diversität der Infrastrukturlandschaft und wie sichern Infrastrukturen bei zunehmender Skalierung die Nähe zur Forschung? Welche Funktion und Bedeutung haben die benannten Aufgabenbereiche der Intermediation für die NFDI und ihre Konsortien?

Bibliographie

BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (2019): „Gesellschaft verstehen – Zukunft gestalten – BMBF“. Bonn.

Chaudhuri, Bidisha (2019): „Paradoxes of Intermediation in Aadhaar: Human Making of a Digital Infrastructure“. In: South Asia: Journal of South Asian Studies. 42 (3), S. 572–587, doi:
https://doi.org/10.1080/00856401.2019.1598671.

Cremer, Fabian; Neumann, Katrin (2019): „Service intermediation as a concept for an institutional publishing department“. In: ELPUB 2019 23rd edition of the International Conference on Electronic Publishing. Marseille, France,
https://hal.archives-ouvertes.fr/hal-02141898.

Edmond, Jennifer (2016): „Collaboration and Infrastructure“. In: Schreibman, Susan; Siemens, Raymond George; Unsworth, John (Hrsg.) A new companion to digital humanities. Chichester, West Sussex, UK: Wiley/Blackwell S. 54–67.

Edmond, Jennifer (2005): „The Role of the Professional Intermediary in Expanding the Humanities Computing Base“. In: Literary and Linguistic Computing. 20 (3), S. 367–380, doi:
https://doi.org/10.1093/llc/fqi036.

Kálmán, Tibor; Ďurčo, Matej; Fischer, Frank; Larrousse, Nicolas; Leone, Claudio; Mörth, Karlheinz; Thiel, Carsten (2019): „A landscape of data – working with digital resources within and beyond DARIAH“. In: International Journal of Digital Humanities. 1 (1), S. 113–131, doi:
https://doi.org/10.1007/s42803-019-00008-6.

Langmead, Alison; Berg-Fulton, Tracey; Lombardi, Thomas; Newbury, David; Nygren, Christopher (2018): „A Role-Based Model for Successful Collaboration in Digital Art History“. In: International Journal for Digital Art History. 1 (3), doi:
https://doi.org/10.11588/dah.2018.3.34297.

Reed, Ashley (2014): „Managing an Established Digital Humanities Project: Principles and Practices from the Twentieth Year of the William Blake Archive“. In: Digital Humanities Quarterly. 8 (1),
http://www.digitalhumanities.org/dhq/vol/8/1/000174/000174.html.

RfII – Rat für Informationsinfrastrukturen (2016): Leistung aus Vielfalt. Empfehlungen zu Strukturen, Prozessen und Finanzierung des Forschungsdatenmanagements in Deutschland. Göttingen (RfII Empfehlungen),
http://www.rfii.de/?wpdmdl=1998.

RfII – Rat für Informationsinfrastrukturen (2018): Rat für Informationsinfrastrukturen: In der Breite und forschungsnah: Handlungsfähige Konsortien. Dritter Diskussionsimpuls zur Ausgestaltung einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) für die Wissenschaft in Deutschland. Göttingen (RfII Empfehlungen),
http://www.rfii.de/?p=3509.

Rose, Frank (1999): The Economics, Concept, and Design of Information Intermediaries: A Theoretic Approach. Physica-Verlag Heidelberg (Information Age Economy).

Tabak, Edin (2017): „A Hybrid Model for Managing DH Projects“. In: Digital Humanities Quarterly. 11 (1),
http://digitalhumanities.org/dhq/vol/11/1/000284/000284.html.

The Digital Humanities Manifesto 2.0 Authors (2009): „The Digital Humanities Manifesto 2.0“,
http://manifesto.humanities.ucla.edu/.

Van Zundert, Joris (2012): „If you build it, will we come? Large scale digital infrastructures as a dead end for digital humanities“. In: Historical Social Research/Historische Sozialforschung. 37 (3), S. 165–186,
https://doi.org/10.12759/hsr.37.2012.3.165-186.

Womack, Ryan (2002): „Information intermediaries and optimal information distribution“. In: Library & Information Science Research. 24 (2), S. 129–155, doi:
https://doi.org/10.1016/S0740-8188(02)00109-3.

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Conference Info

Incomplete

DHd - 2020
"Digital Humanities zwischen Modellierung und Interpretation"

Hosted at Universität Paderborn

Paderborn, Germany

March 2, 2020 - March 6, 2020

130 works by 319 authors indexed

Conference website: https://zenodo.org/record/3666690

Contributors: Patrick Helling, Harald Lordick, R. Borges, & Scott Weingart.

Series: DHd (7)

Organizers: DHd